WIESBADEN – Im Corona-Jahr 2020 haben die Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland rund 963 000 erzieherische Hilfen für junge Menschen unter 27 Jahren gewährt. Dem Statistischen Bundesamt (Destatis) zufolge waren das rund 53 600 Fälle oder 5 % weniger als im Vorjahr. Damit ist die Zahl erzieherischer Hilfen nach einem kontinuierlichen Anstieg seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2008 und ihrem Höchststand im Jahr 2019 erstmals zurückgegangen. Gleichzeitig fiel sie auch wieder unter die Millionengrenze, die sie bereits 2018 überschritten hatte. Von 2008 bis 2019 hatten sich die Erziehungshilfen um insgesamt 218 900 Fälle erhöht (+27 %). Hintergrund der Entwicklung im Jahr 2020 sind vermutlich die allgemeinen Kontaktbeschränkungen infolge der Corona-Pandemie. Insbesondere der Rückgang der Erziehungsberatungen vor Ort kann dadurch erklärt werden. In den Beratungsstellen wurden aber teils verstärkt telefonische Beratungen angeboten, die nicht in die Statistik eingehen.
Erzieherische Hilfen sind Beratungs-, Betreuungs- oder Hilfeangebote der Kinder- und Jugendhilfe, auf die Eltern minderjähriger Kinder einen gesetzlichen Anspruch haben. Das Spektrum reicht von Erziehungsberatungen über sozialpädagogische Familienhilfen bis hin zu Heimerziehungen. Auch junge Volljährige bis zum 27. Lebensjahr haben unter gewissen Voraussetzungen Anspruch auf entsprechende Hilfen.
Im Jahr 2020 waren die erzieherischen Hilfen zu 71 % an Minderjährige, zu 11 % an junge Volljährige und zu 18 % an ganze Familien gerichtet, zum Beispiel als sozialpädagogische Familienhilfe. Dabei dauerte eine abgeschlossene Erziehungshilfe im Schnitt 11 Monate.
Erziehungsberatungen vor Ort fallen von ihrem Höchst- auf ihren Tiefststand
Am häufigsten wurden von ratsuchenden Eltern, Familien oder jungen Menschen Erziehungsberatungen vor Ort in Anspruch genommen – im Jahr 2020 allerdings deutlich seltener als in den Vorjahren: Insgesamt rund 438 500 solcher Beratungen haben Jugendämter, Caritas, Diakonie und andere Träger der Kinder- und Jugendhilfe 2020 bei persönlichen oder familiären Problemen und zur Lösung von Erziehungsfragen oder bei Trennung und Scheidung durchgeführt. In 59 % aller Fälle hatten vorrangig die Eltern, in 30 % die gesamte Familie und in weiteren 12 % der Fälle vorrangig die jungen Menschen Hilfe gesucht. Im Schnitt dauerte eine abgeschlossene Beratung 6 Monate.
Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Erziehungsberatungen vor Ort um 38 400 Fälle (‑8 %) – und damit von ihrem Höchst- auf ihren Tiefststand – gesunken. Besonders auffällig war der Rückgang bei den Beratungen, die im Corona-Jahr 2020 neu begonnen hatten: Im Vergleich zum Vorjahr wurden 2020 rund 44 900 weniger Beratungen neu eingeleitet (-14 %). Hintergrund dieser Entwicklung dürften die im Jahresverlauf 2020 beschlossenen coronabedingten Einschränkungen sein, die persönliche Kontakte in den Beratungsstellen und an anderen Orten zeitweise erschwerten oder ganz verhinderten. Verschiedene Beratungsstellen weisen aber darauf hin, dass 2020 verstärkt Unterstützung per Telefon geleistet wurde. Rein telefonische Beratungen werden in der Statistik nicht erfasst.
Trends der Vorjahre setzen sich fort: Mehr Familienhilfen, weniger Heimerziehungen
Die Entwicklung der anderen Erziehungshilfen verlief dagegen unterschiedlich: Während die familienorientierten Hilfen 2020 das vierte Jahr in Folge zunahmen (+3 200 Fälle bzw. +2 %), gingen die anderen Einzelhilfen durchgängig zurück (-18 400 Fälle bzw. -5 %). Dies ist aber nur zum Teil durch die allgemeinen Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie zu erklären. Auch der Rückgang der unbegleitet eingereisten Minderjährigen spielt eine Rolle. Diese verlassen nun schrittweise wieder das System der Kinder- und Jugendhilfe, nachdem sie nach ihrer Einreise verstärkt dort betreut worden waren. So war zum Beispiel die Zahl der Heimerziehungen nach ihrem Höchststand von 148 100 Fällen im Jahr 2017 wie in den beiden Vorjahren auch 2020 weiterhin rückläufig (-9 200 Fälle bzw. -7%). Im Jahr 2020 wurden insgesamt noch rund 126 900 Heimerziehungen durchgeführt.
Hohe Inanspruchnahme durch Alleinerziehende, vor allem bei Transferleistungsbezug
427 900 oder 44 % aller erzieherischen Hilfen wurden 2020 von alleinerziehenden Müttern oder Vätern in Anspruch genommen. Damit erhielten Alleinerziehende deutlich häufiger erzieherische Hilfen als zusammenlebende Elternpaare (33 %) oder Elternteile in einer neuen Partnerschaft (16 %).
Noch weiter öffnet sich die Schere bei der Gruppe derer, die staatliche Transferleistungen bezogen. Bei 381 700 beziehungsweise 40 % aller gewährten Hilfen lebte die Herkunftsfamilie oder der junge Mensch ganz oder teilweise von Transferleistungen – also von Arbeitslosengeld II (SGB II), von Sozialhilfe, von bedarfsorientierter Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder einem Kinderzuschlag. In dieser Gruppe waren sogar 57 % alleinerziehend, 22 % lebten als Elternpaar zusammen und 16 % als Elternteil in einer neuen Partnerschaft.