Erfahrungsberichte

Zeitlich befristete Vollzeitpflege – Kinder ein Stück ihres Weges begleiten

Nachdem wir ca. zwei Jahre vorher bereits ein Kleinkind in Pflege genommen hatten, fragte das Jugendamt an, ob wir sehr kurzfristig auch ein Baby im Alter von 5 Monaten betreuen könnten. Nur ein paar Stunden Vorlauf erforderten eine sehr schnelle Entscheidung und ermöglichten keine ruhige Vorbereitung. Im Grunde hatten wir aber noch alles da, was man für ein Baby benötigt. Ungefähr passende Windeln und Babybrei waren schnell besorgt, das Bettchen aufgebaut und einiges würde die kleine Maus ja hoffentlich auch mitbringen. Und so war es auch. Unsere betreuende Fachkraft rückte mit dem Kind in Begleitung von ASD und Mutter an, die dem kleinen Mädchen vieles an Kleidung und Spielsachen eingepackt hatte.

Der Herausnahme lag zugrunde, dass Ärzte bei dem Kind eine länger zurückliegende Misshandlung vermuteten. Ein Prozess stand an und solange sollte das Kind nicht bei der alleinerziehenden Mutter und ihrem Partner (nicht der Vater) leben. Da je nach Ausgang des Gerichtsverfahrens sowohl eine Rückführung als auch der Verbleib des Kindes bei uns möglich waren, mussten wir uns auf beides einstellen.

Im Sinne der möglichen Rückführung wurden mehrmals in der Woche Besuche bei uns zu Hause vereinbart, um den Kontakt von Mutter und Kind nicht abreißen zu lassen. Grundsätzlich war das für mich kein Problem. Doch die Mutter kämpfte vehement für ihre Unschuld und um ihr Kind. Soweit so gut, doch leider war ihre Strategie, andere zu beschuldigten, ihrem Kind etwas angetan zu haben. Sogar über uns beschwerte sie sich bald wo es nur ging und kontrollierte uns mit täglichen Anrufen. In der Rückschau ist mir klar, dass die Mutter überhaupt nichts gegen uns persönlich hatte. Ihre aggressive Art war eben ihre Methode, ihre Interessen als strukturell machtlosere Person durchzusetzen und ihre Tochter zurückzubekommen. Doch Pflegeeltern in einer solch konfliktreichen Situation über Monate völlig alleine zu lassen, war vom Jugendamt eine Zumutung. Leider war mir damals noch nicht bekannt, dass es sowas wie begleitete Umgänge gibt und dies in einem solchen Fall Aufgabe des Fachdienstes gewesen wäre, dafür zu sorgen und uns besser zu schützen.

In der schönen Zeit mit dem kleinen Mädchen, von der ich nicht wußte, ob es wieder zu seiner Mutter kann oder bei uns bleiben wird, habe ich viel gelernt. Z.B. dass man nichts aufschieben kann, was ein Kind jetzt verlangt. Selbst wenn ich weiß, dass ein Kind in zwei Wochen wieder weg ist, muss ich es jetzt unterstützen beim Lernen, sich zu beruhigen, zu krabbeln, mit dem Löffel zu essen, an der Hand zu gehen,…. Auch wenn die nächste Betreuungsperson dann vielleicht alles ganz anders machen wird. Damit wird das Kind umgehen können. Aber seine Entwicklungsschritte zu verlangsamen oder aufzuhalten, ist nicht möglich. Ein Kind braucht die Unterstützung, die gerade dran ist, und eine Bezugsperson, die das auch wahrnimmt. Vor allem verdanke ich der Kleinen die Gewissheit, dass es das war, was ich machen wollte: weitere Kinder durchs Leben begleiten.

Nach fast einem halben Jahr war endlich der Gerichtsentscheid gefällt und das Kind kam – aus Mangel an Beweisen für eine Kindesmisshandlung durch die Mutter oder ihren Partner – zurück zu seiner Mutter. Dort ist sie dann auch aufgewachsen. Wir sind uns nicht wieder begegnet. Vielleicht weiß sie gar nichts von dieser Zeit, in der sie als Baby für ein paar Monate mal in einer anderen Familie lebte. Aus Neugier haben ich sie vor ein paar Jahren mal auf Facebook gesucht und auch gefunden. Aus dem liebenswürdigen Baby ist mittlerweile eine junge Frau geworden, die ihrer Mutter sehr ähnlich sieht.

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