Verwandten- und Netzwerkpflege – Wenn man das Kind bereits kennt
Erstes kommt es anders, als man zweitens denkt
Meine Halbschwester väterlicherseits ist 10 Jahre jünger als ich und mit 17 Jahren ungewollt schwanger geworden. Kontakt hatten wir bis dahin schon länger nicht mehr und durch den Aufbruch von sozialen Plattformen und dem Untereinander vernetzen, fanden wir uns wieder. Zu diesem Zeitpunkt war sie im 6. Monat schwanger.
Da sie keinerlei Unterstützung von ihren Eltern bekam, haben wir uns entschlossen, ihr zu helfen. Also begleiteten wir sie zu allen Ämtergängen und besorgten ihr eine Wohnung. Unser Verhältnis wurde immer inniger. Im März 2010 war es dann so weit und der kleine Mann machte sich auf den Weg. Ihr Wunsch war es, dass ich sie bei der Geburt begleite. Gesagt getan und ich durfte sogar die Nabelschnur durchtrennen. Im Nachhinein war das schon ein sehr aufwühlendes Erlebnis und richtete ein wenig Gefühlschaos bei mir an. Mein Mann und ich waren seit 8 Jahren verheiratet und können leider keine eigenen Kinder bekommen. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt schon die Überprüfung zu Adoptiveltern hinter uns und warteten auf DEN Anruf.
Im ersten Lebensjahr des Kleinen merkte man schon sehr oft, dass meine Schwester überfordert war. Auch konnte sie das Partyleben nicht wirklich hintenanstellen. So kam es, dass der Kleine am Wochenende sehr oft bei uns war. Da mein Mann und ich unseren Jobs nachgingen, blieb auch immer weniger Zeit für Unterstützung. Daher kam es nach einiger Zeit dazu, dass das Jugendamt auf den Plan trat und sie Unterstützung bekam. Trotz allem fällte das Jugendamt Anfang 2013 die Entscheidung, dass der kleine Mann in der Häuslichkeit nicht mehr bleiben kann. So entschied meine Schwester, auch wenn unser Verhältnis nicht mehr so innig war, dass er zu uns kommen sollte. Das war für uns erstmal in Ordnung, aber wie lange sollte er bei uns bleiben? Wir hatten schließlich einen anderen Plan für unsere Zukunft. Die Aussage des Jugendamtes war: „Wir reden hier schon von ein paar Wochen!“
Mittlerweile haben wir das Jahr 2023 und der kleine Mann ist jetzt groß und immer noch bei uns. Die letzten 10 Jahren hatten Höhen und Tiefen. Der Anfang war sehr schwer für uns, weil wir uns von unserem Traum eines eigenen Kindes verabschieden mussten. Wir mussten lernen, dass die Besuchskontakte einfach dazugehören, wie wichtig die Wurzeln sind und das wir alles mit meiner Schwester absprechen müssen. Das war ein sehr harter, steiniger und lehrreicher Weg für alle Beteiligten. Aber jeder einzelne Tag hat sich gelohnt!
Mittlerweile haben wir alle vier Wochen unbegleitete Besuchskontakte und es funktioniert super! Durch den “Rucksack” des Kindes sind wir alle an uns gewachsen und im Moment kann meine Schwester sich nicht vorstellen, ihn wieder bei sich aufzunehmen. Wenn es mal sein Wunsch sein wird, dann werden wir ihn auch ziehen lassen.
Rückblickend können wir sagen, dass Verwandtenpflege schon herausfordernd sein kann. Und der Spagat zwischen Familie- und Pflegeeltern-Sein, war oft nicht einfach.
Heute, mit mittlerweile 3 Pflegesöhnen zu Hause, können wir sagen: Danke, dass du, damals kleiner Mann, uns gezeigt hast, dass es völlig in Ordnung ist, zwei Familien zu haben! Auch wenn es alles andere als einfach war und manchmal heute noch ist: Danke, dass du so bist, wie du bist, und uns in dein Herz gelassen hast! Wir sind sehr stolz auf dich und begleiten dich, solange du möchtest!