Erfahrungsberichte

Wenn Kinder neue Eltern bekommen: Bericht einer Adoptivmutter, die in den 1980er Jahren adoptierte

Unser Kinderwunsch wurde leider nicht erfüllt.

Nach vergeblichen medizinischen Versuchen entschlossen wir uns für die Adoption eines Kindes. Wir wandten uns nun an das örtliche Jugendamt und mussten verschiedene Papiere ausfüllen und Nachweise vorlegen. Nach Prüfung unserer Unterlagen bekamen wir eine Pflegeerlaubnis. Nun begann das Warten auf ein kleines Kind, das zur Adoption freigegeben würde. Da wir noch keine Erfahrung in der Kindererziehung hatten, kam für uns die Aufnahme eines älteren Kindes nicht in Frage.

Eine Familie in unserem Dorf hatte ein Kind aus Korea aufgenommen. Zu dieser Zeit, vor über 40 Jahren, vermittelte Terre des Hommes Kinder aus dem asiatischen Raum, die in Kinderheimen aufwuchsen, an europäischen Familien. Terre des Hommes wurde später bewusst, dass es für die Kinder nicht hilfreich war, sie in ein völlig anderes kulturelles Umfeld zu vermitteln. Diese Organisation hat dann versucht, für diese Kinder im eigenen Land, Adoptivfamilien zu finden.

Wir haben uns dann mit einem Vertreter für Auslandsadoptionen in Verbindung gesetzt und wurden zu einem multikulturellen Familienfest eingeladen. Hier erlebten wir Kinder aus der ganzen Welt, die sich zufrieden und glücklich in ihrer neuen Heimat  Deutschland gefühlt haben.

Für eine Auslandadoption musste auch das örtliche Jugendamt eine positive Stellungnahme abgeben. Wir bekamen einen Anruf vom Jugendamt wegen eines Gespräches. Wir wurden gefragt, ob wir unbedingt ein Kind aus der sog. Dritten Welt adoptieren wollen oder auch bereit wären ein deutsches Kind aufzunehmen. Für eine Auslandsadoption hatten wir uns nur entschlossen, da wir keine Aussicht auf die Aufnahme eines inländischen Kindes hatten. Die Sozialarbeiterin teilte uns mit, dass die deutsche Mutter eines dunkelhäutigen Jungen im Alter von knapp 2,5 Jahren mit einem amerikanischen Vater sich zur Freigabe ihres Sohnes zur Adoption entschlossen hatte. Die alleinerziehende Mutter suchte sich nach Ablauf der Mutterzeit von damals 8 Wochen eine Pflegefamilie, da sie wieder ihrer Arbeit nachgehen musste. So kam unser späterer Adoptivsohn als kleines Baby zu einer Pflegemutter, anfangs als Wochenpflege. Da die Mutter auf Grund ihrer eigenen schwierigen Kindheit nicht in der Lage war, sich am Wochenende selbst um ihren Sohn zu kümmern und auch die vereinbarten Besuchstermine nicht immer eingehalten wurden, wandte sich die Pflegemutter an das Jugendamt. Die Sozialarbeiterin besprach dann die Situation mit der leiblichen Mutter und überzeugte sie, dass es das Beste für ihren Sohn wäre, eine Adoptivfamilie zu suchen. Da die Mutter das eigene Schicksal in einem Heim aufzuwachsen ihrem Sohn ersparen wollte, entschloss sie sich schweren Herzen, einer Freigabe zur Adoption zuzustimmen.

Die Sozialarbeiterin zeigte uns ein Foto von einem kleinen lächelnden Buben.

Ich war sofort vernarrt in den Kleinen. Nach einer kurzen Bedenkzeit entschlossen wir uns, den Jungen als Adoptivkind aufzunehmen. Vom Jugendamt wurden dann die nötigen Schritte in die Wege geleitet. Nach einigen Wochen fand ein erster Kennenlernentermin im Jugendamt zwischen der Pflegemutter mit dem Kleinen und uns statt. Es folgten dann Besuche bei der Pflegefamilie, damit uns der Junge besser kennenlernen sollte. Nach ein bis zwei Monaten luden wir den Jungen zu einem Besuch auf einen Kinderspielplatz ein – ohne die Pflegemutter. Am Anfang war die Trennung von der Pflegemutter für ihn sehr hart und er hat geweint. Nach einiger Zeit fuhr er jedoch gerne mit uns mit. Eines Tages, als wir im Wohnzimmer der Familie auf der Couch saßen, legte unser zukünftiges Kind den Arm um die Schulter von uns zukünftigen Eltern. Das war eine wunderschöne Geste und ich denke, dass er uns in diesem Moment als Eltern akzeptiert hat. Nach Rücksprache mit dem Jugendamt wurde dann ein Übergabetermin festgesetzt. Somit waren wir ab diesem Zeitpunkt Eltern. Damit sich unser Sohn gut bei uns einleben konnte, wurde vereinbart, dass er ein Jahr keinen Kontakt zur Pflegefamilie haben sollte. (Ob dies für die Entwicklung des Kindes sehr gut war, bezweifle ich heute). Zum Geburtstag hat die Pflegemutter mit ihm telefoniert und nach einem Jahr fanden dann auch gegenseitige Besuche statt. Die Pflegemutter nahm dann die Rolle einer Oma, auch auf Grund des großen Altersunterschieds, ein. Bei Familienfeierlichkeiten wie Erste Kommunion, Firmung und Hochzeiten wurden selbstverständlich gegenseitige Einladungen ausgesprochen.

Da wir zwei Jahre später noch einen Pflegesohn in die Familie aufgenommen haben, der alle zwei Wochen bei seiner Mutter Zeit verbrachte, war für unseren Adoptivsohn die Frage nach seiner leiblichen Mutter ein wichtiges Thema. Da unser Sohn dunkelhäutig ist und bei der Adoption fast 3 Jahre alt war, war für ihn immer klar, dass wir nicht seine leiblichen Eltern sind. Selbst wenn wir ein Baby adoptiert hätten, wäre es für uns selbstverständlich gewesen, mit der Adoption offen umzugehen und dies von Anfang an mit dem Kind zu besprechen. Soweit Fotos vor seiner Zeit bei uns vorhanden waren, schauten wir diese mit ihm an – je nach der Entwicklung des Kindes.

Der Wunsch von unserem Sohn seine Eltern kennenzulernen, wurde dem Jugendamt vorgetragen.

Die Sozialarbeiterin machte die Adresse der Mutter ausfindig. Da der Vater schon vor der Freigabe zur Adoption in sein Heimatland zurückgekehrt war, war hier eine Kontaktaufnahme schwierig und bis heute nicht möglich. Als unser Sohn ca. 12 Jahre alt war, lernte er seine leibliche Mutter kennen. Es folgten einige Besuche bei uns. Sie teilte ihm die Gründe für ihren Entschluss, ihn von fremden Leuten adoptieren zu lassen, mit. Sie wollte für ihn nur das Beste und ihm ein Aufwachsen in geordneten Verhältnissen ermöglichen. Für seine Mutter war es schwer auszuhalten, hier eine gutbürgerliche Familie zu finden und mit ihrer eigenen Situation zu Recht zu kommen. Aus diesem Grunde wollte sie keine weiteren Besuche. Der Kontakt brach jedoch nie ganz ab. Im Alter von ca. 17 Jahren nahm unser Sohn den Kontakt mit seiner Mutter wieder auf und sie trafen sich einige Male. Da sowohl unser Sohn als auch seine Mutter Schwierigkeiten hatten, das eigene Leben auf die Reihe zu bringen, brach nach einiger Zeit der Kontakt wieder ab. Nachdem seine Mutter dann weiter weg gezogen ist, hatte er weder eine Adresse noch eine Telefonnummer von ihr.

Die leiblichen Mütter stehen stets mit ihrem Kind, das sie geboren haben, in gedanklicher Verbindung.

Eines Tages fand die abgebende Mutter über Facebook wieder den Kontakt zu ihrem Sohn. Unser Sohn war mittlerweile verheiratet und hatte schon zwei kleine Kinder. Sie wollte ihn besuchen und ihre Enkelkinder kennenlernen. Obwohl die Mutter und auch ihr Ehemann mittlerweile schwer alkoholkrank waren, schafften sie es mit Hilfe von Freunden ein Zugticket zu erwerben und zu ihrem Sohn und seiner neuen Familie zu fahren. Auf meine Anregung konnten sie bei unserem Sohn übernachten. Auch wir Adoptiveltern besuchten unseren Sohn. Wir zwei Mütter freuten uns, dass wir uns nach so langer Zeit wiedersahen. Die Mutter von unserem Sohn, hatte als Jugendliche noch einen weiteren Sohn gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben.
Sie wollte auch mit ihrem Ältesten Kontakt aufnehmen. Leider war dieser Sohn nicht zu einem Treffen bereit. Es ist doch ein Unterschied, ob ein Kind gleich nach der Geburt in eine andere Familie kommt, oder – wie bei unserem Sohn – sporadischen Kontakt in den ersten Lebensjahren hatte.

Nach dem letzten Besuch hatte unser Sohn noch telefonisch und über Facebook Kontakt zu seiner Mutter. Da beide auf Grund ihrer frühkindlichen Erlebnisse Schwierigkeiten haben, das Leben zu meistern, kam es immer mehr zu gegenseitigen Vorwürfen und Beleidigungen. Derzeit ist der Kontakt wieder abgebrochen.

Mein Fazit:

Wir sind froh, dass eine andere Frau bereit war uns ihr Kind anzuvertrauen. Je mehr ich über die Mütter unserer Kinder erfahren habe, desto mehr hatte ich Verständnis dafür, dass sie mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert waren. Nicht jeder hat das Glück, ein gewünschtes Kind zu sein und in geordneten Verhältnissen aufwachsen zu können. Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich ein ähnliches Schicksal wie die Mütter meiner Kinder gehabt hätte.

Die Mutter unseres Adoptivsohnes hatte keine weiteren Kinder mehr bekommen. Die Mutter unseres Pflegesohnes hat noch zwei weitere Kinder, die bei ihr aufwachsen konnten, da sie nun älter und reifer war. Bei der Geburt ihres ersten Kindes war sie sehr jung. Unser inzwischen erwachsene Pflegesohn hatte und hat Kontakt zu seiner Mutter und ebenso zu uns als Pflegeeltern.

Unsere Kinder haben zwei Mütter und Väter.